Sourou ist noch nie geflogen. Er fährt fast nie in den Urlaub. Niemand in seiner Familie hat ein Auto. Sourou besitzt kaum Dinge, die er nicht benutzt. Seine Wäsche wäscht er mit der Hand. Sourou ist 31 Jahre alt und lebt in Alédjo, einem Dorf im Westen von Benin in Westafrika.
Ich bin in meinem Leben schon oft geflogen, wenn auch seit vier Jahren nicht mehr. Ich fahre mehrmals im Jahr in den Urlaub. Meine Eltern haben zwei Autos. Obwohl ich mich bemühe, wenig zu kaufen, miste ich immer wieder Dinge aus, die ich nicht mehr brauche. Meine Wäsche wäscht die Waschmaschine. Ich bin 26 Jahre alt und lebe in München.
Als Sourou 23 war und ich 18, waren wir in einer Beziehung, während ich ein freiwilliges soziales Jahr in Benin gemacht habe. Inzwischen haben wir nur noch ab und zu Kontakt. Wenn ich über die Klimakrise nachdenke, denke ich auch an Sourou. Und an Lakaza, Kénnèthe, Awali und andere, die ich in dieser Zeit kennengelernt habe.
Ich hatte das Privileg, nach dem Abi nach Benin zu gehen. Ich habe mich für das „weltwärts“-Programm beworben und wurde genommen. Zwei Jahre später bin ich nochmal dorthin geflogen – weil ich es konnte. Laut dem Rechner auf der Seite von Atmosfair verursacht der Flug von München nach Cotonou und zurück etwa 2,2 Tonnen CO2. Das ist etwas mehr, als einem Menschen pro Jahr zur Verfügung stünde, wenn wir alle gleich viel verbrauchen würden und die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollten.
Sourou verbraucht nach dieser Rechnung viel weniger als ihm zusteht, wahrscheinlich entsprechend dem Pro-Kopf-Verbrauch in Benin, 0,67 Tonnen nach Angaben von Our World in Data. Für Sourou gab es kein Stipendienprogramm, auf das er sich hätte bewerben können, um nach Deutschland zu gehen oder in ein anderes Land. Sourou hat nicht das Geld, um einen Flug nach Deutschland zu bezahlen, mal abgesehen davon, dass er wahrscheinlich kein Visum bekäme.
Im Moment liegen also nüchtern betrachtet alle Trümpfe bei mir: Geld, Bildung, internationale Abkommen, alles spielt mir in die Hände.
Wenn nicht nur das zählen würde, sondern auch, wie viele Ressourcen wir verbrauchen, wie sehr wir unserem Planeten schaden, dann wären die Machtverhältnisse auf der Welt ganz anders verteilt.
Christian Felber, der Begründer der Gemeinwohlökonomie-Bewegung fordert ökologische Menschenrechte. Bestandteil des Konzepts wären auch pro-Kopf-Verbrauchsrechte. Die Idee: Jeder Mensch hätte so viele natürliche Ressourcen zur Verfügung, dass wir uns insgesamt innerhalb der planetaren Grenzen bewegen würden. Felber würde Unternehmen dazu verpflichten, einen ökologischen Preis auszuweisen und die Käufe würden dann über ein Ökokonto abgerechnet. Vereinfacht kann man sich ein Emissionskonto vorstellen, auf dem jeder Menschen etwa zwei Tonnen CO2 pro Jahr zur Verfügung hätte.
Es ist natürlich nur ein Gedankenspiel, aber was würde passieren, wenn man jetzt sofort so ein Verbrauchsrecht einführen würde? Wahrscheinlich würde sich ein Markt entwickeln, in dem diejenigen die Macht haben, die so wenig verbrauchen, dass sie unter der Grenze von zwei Tonnen pro Jahr liegen.
Ich könnte Sourou fragen, ob er mir etwas von seinem Überschuss verkauft, bis ich in eine WG gezogen bin oder wieder zu meinen Eltern, bis ich vegan lebe und andere Möglichkeiten gefunden habe, meinen Fußabdruck auf das Maß, das mir zusteht, herunterzuschrauben.
Der Druck auf die Regierungen, mehr Maßnahmen in Richtung Klimaschutz zu ergreifen, würde wohl massiv zunehmen. Dass die CO2-Emissionen der Deutschen im Schnitt bei 9,7 Tonnen liegen, hat auch damit zu tun, wie in Deutschland Strom produziert wird, welche Infrastruktur gebaut wird, welche Industrien die Regierung fördert. Es wäre kaum noch möglich, allein in einer großen Wohnung zu wohnen oder weite Arbeitswege allein in einem Auto zurückzulegen.
Wenn Sourou seinen Überschuss verkaufen würde und mehr Geld hätte, würde sein CO2-Ausstoß wahrscheinlich schnell steigen. Da es nur so viele Verbrauchsrechte gäbe, wie innerhalb der planetaren Grenzen verfügbar sind, könnten die Emissionen aber insgesamt nicht über dieses Maß hinausgehen.
Die Lebensstile der Menschen weltweit würden sich schneller stärker angleichen. Ungleichheiten würden sich verringern. Auch innerhalb eines Landes: Wer gerade in Deutschland auf der Straße lebt und wenig CO2 verursacht, könnte eventuell auch Verbrauchsrechte verkaufen.
Dass das Konzept in der näheren Zukunft umgesetzt wird, ist vollkommen unrealistisch. Und es gibt viele offene Fragen. Wie würde man alle Emissionen den Menschen direkt zuordnen? Lassen sie sich so genau berechnen? Wie ließe sich das überprüfen? Bestünde die Gefahr, dass sehr reiche Menschen weiter ihren Lebensstil leben, weil sie es sich leisten können, immer neue Zertifikate zu kaufen? Entstehen durch den Handel neue Ungleichheiten?
Es lohnt sich trotzdem, über die Idee nachzudenken. Weil sie viel über Machtstrukturen verrät, über Privilegien. Bevor ich diese Geschichte geschrieben habe, habe ich mit Sourou gesprochen und ihn gefragt, wie er über die Klimakrise denkt. Er sagt, die Lösungen müssten von der Politik, von den Regierungen kommen. Und er sagt auch: „Eine Minderheit verursacht mit ihrem Lebensstil und ihrer Industrie Emissionen, die den ganzen Planeten betreffen. Das ist unfair. Diejenigen, die die Klimakrise verursachen, müssen ihre Emissionen reduzieren.“
Sourou lebt gerade überwiegend von der Landwirtschaft. Wenn eine Dürre seine Ernte zerstören würde, könnte er sich nicht auf ein sicheres Sozialsystem verlassen, wie die meisten Menschen in Deutschland. Sollte Benin irgendwann so heiß werden, dass man dort nicht mehr leben kann, wäre es für ihn schwerer, woanders Zuflucht zu finden. Deutlich schwerer als für mich, selbst wenn ein Sturm mein Haus zerstören würde.
„In welchem Umfeld werden unsere Kinder leben, wenn sich nichts ändert?“, fragt Sourou. „Was hinterlassen wir den Generationen nach uns?“ Wenn alle so leben würden wie Sourou, wie die Menschen in Benin, dann gäbe es keine Klimakrise.
So betrachtet schulde ich nicht nur Sourou viel, sondern auch den Generationen, die noch kommen.
Der Text ist bei Bento erschienen.